Von

Dr. Theophil Gallo

Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Saar e. V.

Vorsitzender der Siebenpfeiffer-Stiftung

2020, was für ein Jahr? Selbst ohne Pandemie. Das Verhalten eines abgewählten US-Präsidenten, der der Demokratie einfach nur schadet. Der erneute islamistische Terror in Europa, Terror, der ängstigen, unsere freiheitlich-demokratischen Strukturen zerbrechen will.  Dazu verstörende Bilder aus Warschau: Der Aufmarsch tausender Nationalisten und Rechtsradikaler am 11. November, die Proteste Zigtausender Frauen gegen die rechtsnationalistische PiS-Regierung, gegen ein faktisch absolutes Abtreibungsverbot. Die nicht tolerable Diskriminierung von Menschen der sogenannten LGBTQ-Gruppen, die wiederholten Verstöße gegen EU-Recht, jüngst die Blockade des EU-Haushalts durch Polen und Ungarn. Auch die Forderung nach Entschädigungszahlungen von über 800 Milliarden Euro an die Polen für die erlittenen Gräuel des Zweiten Weltkrieges steht im Raum.

Was ist los in Polen, einem Land, das zur EU gehört, einem Land, zu dem wir in den vergangenen Jahren gute Beziehungen aufgebaut haben? Der Weg dahin war nicht einfach. Ein Meilenstein war der 7. Dezember 1970, als der damalige Bundeskanzler Willy Brandt mit seinem spontanen Kniefall am Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos einen unglaublichen Akt der Demut und der Bitte um Vergebung geleistet hat? Ihm versagte „am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten“ die Stimme. Er ging auf die Knie. Sein Kniefall, diese Bitte an Polen um Vergebung, war ein Symbol größter Wirksamkeit, ein elementar wichtiger Beitrag zur Völkerverständigung, dem wir heute in einem geeinten Europas Wohlstand und 75 (!) Jahre Frieden verdanken. Brandt gehört mit dem früheren Außenminister Polens, Władysław Bartoszewski, und Robert Schumann als Vorkämpfer der deutsch-französischen Verständigung zu den großen Europäern, die durch Demut, Versöhnung, und Weitsicht vorbildhaft Brücken für den Frieden gebaut haben.

Aber die Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten sind nicht störungsfrei. Was zeigt uns die Geschichte gerade mit Blick auf Polen? Sehr viel. Etwa die Polenbegeisterung des 19. Jahrhunderts, als die Menschen auch in unserer Region mit Unterstützung polnischer Mitstreiter um Einigkeit kämpften, für Demokratie, um Meinungs- und Pressefreiheit und soziale Gerechtigkeit. Das Hambacher Fest von 1832 wird als der Höhepunkt dieser Polenbegeisterung angesehen. Siebenpfeiffers Worte aus seiner flammenden Rede in Hambach wirken nach: „Es lebe das freie, das einige Deutschland! Hoch leben die Polen, der Deutschen Verbündete! Hoch leben die Franken, der Deutschen Brüder, die unsere Nationalität und Selbstständigkeit achten! Hoch lebe jedes Volk, das seine Ketten bricht und mit uns der Bund der Freiheit schwört! Vaterland – Volkshoheit – Völkerbund hoch!“.

Wir werden aber wohl kaum dorthin, zu dieser Begeisterung zurückfinden, wenn es Schule machen sollte, dass, wie jüngst geschehen, ein Gremium eine polnische Partnerstadt als unerwünscht bezeichnet und ein Antrag auf Partnerschaft abgeschmettert wird. Wie wirkt dies, diese Wortwahl auf die mitten unter uns lebenden und etwa in der häuslichen Pflege arbeitenden polnischen Mitbürger?

Das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, rund 100 Jahre nach Hambach, die Zeit des Nationalsozialismus mit seinen unsäglichen Verbrechen hat tiefe Wunden gerissen. Fast ein Fünftel der polnischen Bevölkerung, darunter viele Juden, fiel dem mörderischen Treiben der Nazis und ihrer Helfer zum Opfer. Der Weg nach 1945 hin zu Vergebung, zu Versöhnung, zu einem einigen Europa, war sehr mühsam. Hier bedurfte es vieler vernünftiger, besonnener, weitsichtiger und großherziger Menschen.

Willy Brandt hat mit seinem Kniefall eine wichtige Brücke geschlagen. Der Kniefall selbst wurde Denkmal, zum bildgewaltigen Symbol, mehr als der kurz danach unterzeichnete Warschauer Vertrag. Europa lebt und entwickelt sich sicherlich im Großen, auf nationaler und supranationaler Ebene durch die notwendige Abstimmung zwischen den Regierenden und den Parlamenten. Aber diese positive Entwicklung droht leider, wie man aktuell sieht, an einzelnen handelnden Personen zu scheitern. Das ist nicht gut. Es bedarf der breiteren Basis, der Verankerung bei möglichst vielen Menschen, bei denen sich das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das Bewusstsein des Aufeinander-angewiesen-seins einstellen muss. Es geht um die die stetige Sensibilisierung und das Bewusstsein dafür, dass wir alle Europäer sind und auch so leben wollen, als Europäer.

Hier schlagen gerade heute unsere Schul- und Kommunalpartnerschaften, auch Spohns Haus in Gersheim, viele kleine, aber ungleich wertvolle Brücken zwischen den Menschen unserer Nationen. Dazu gehört die langjährige segensreiche Tätigkeit vieler Lehrerinnen und Lehrer, von Schulen und weiteren Einrichtungen, die den Jugendaustausch tragen bis hin zu den deutsch-polnischen Gesellschaften oder die Stiftung für die deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit. Nicht zu vergessen die etwa 600 Gemeinden und Landkreise, die Partnerschaften pflegen.

Diese Partnerschaften sind für die direkte Kommunikation dringend notwendig. Sie dürfen nicht in Frage gestellt oder gar beendet werden. Im Gegenteil, es muss mehr solcher Brücken werden. Andernfalls beschädigen wir das Werk Willy Brandts und anderer großer Europäer, dazu gehört auch Philipp J. Siebenpfeiffer, der erste Landcommissär in Homburg, der sich auch für die europäische Idee einsetzte.

Und dennoch werden diese Strukturen in Frage gestellt, ja sogar gefährdet. Natürlich kann man fragen, wie lange das bisweilen provozierend anmutende Verhalten der obersten Verantwortlichen in Polen hingenommen werden soll. Sicher sollte sein, dass Problemstellungen auf nationaler Ebene dort auch zu lösen sind. Das gilt für die Reparationsforderungen ebenso wie für die ständigen Verstöße gegen Rechtsstaatsprinzipien und gegen unser durch Grundrechte geprägtes Wertesystem in Deutschland und in der EU. Es ist zu begrüßen, dass die EU-Kommission sexuelle Minderheiten besser schützen und generell gegen Diskriminierung vorgehen will. Die Europäische Gemeinschaft ist eine Wertegemeinschaft. Diskriminierung, Hassreden, Hetze generell, auch homophobe Hetze, sind nicht akzeptabel. Sie verletzen grundlegende Menschenrechte.

Über viele Jahre haben Menschen daran gearbeitet, um dem Auftrag gerecht zu werden, den der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker uns in seiner denkwürdigen Rede zum 8. Mai 1985 mitgegeben hat, es „… erwachse aus dem Wissen über die Geschehnisse der Vergangenheit die zwingende Verpflichtung, Verantwortung zu übernehmen … die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird.“ Die Jungen, von denen von Weizsäcker 1985 gesprochen hat, das sind ausnahmslos wir, die wir schon älter geworden sind. Und von Weizsäcker weiter: „Wir lernen aus unserer eigenen Geschichte, wozu der Mensch fähig ist. Deshalb dürfen wir uns nicht einbilden, wir seien nun als Menschen anders und besser geworden“. Wem hier spontan der Name Trump einfällt … das ist bestimmt kein Zufall.

Aber die Reaktionsformen sind unterschiedlich. Es ist leider so, dass auf der kommunalen Ebene wegen fraglicher Vorgänge in Polen Partnerschaften in Frage gestellt werden oder gar mit ihrer Beendigung gedroht wird. Was auch immer die eigentlichen Gründe hierfür sein mögen, das Bedürfnis nach persönlicher Profilierung, das Unverständnis über die Bedeutung von Partnerschaften oder um dem Druck von Aktivisten nachzugeben – bei aller Einigkeit über das Ziel – es ist nicht der zielführende Weg.

Wir helfen den Freunden in Polen am meisten, wenn wir sie nicht moralisierend belehren, gar mit Beziehungsabbruch drohen. Wir helfen den Polen, indem wir mit der Erhaltung und Pflege der bestehenden Brücken die Chance bewahren und nutzen, unsere Partner im direkten Kontakt von unseren Werten zu überzeugen. Indem wir die (bereits) Überzeugten so stärken, dass sie diese Werte glaubhaft und nachvollziehbar gegenüber denjenigen vertreten, die diese Werte noch ignorieren. Polen ist ein Land im Umbruch, aber ich bin sicher, es wird sich positiv verändern.

Die Hinwendung zu unseren unmittelbaren Nachbarn ist elementar. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier forderte die Hinwendung zu Polen und appellierte, am deutsch-polnischen, aber auch am deutsch-französischen Verhältnis zu arbeiten: „Wir wollen die Menschen unserer beiden Länder näherbringen…. Wir wollen auch über schwierige Themen unserer Vergangenheit miteinander reden“. Und um gerade darüber, aber auch über schwierige Themen der Gegenwart reden zu können, brauchen wir die faktische Möglichkeit des direkten Dialogs, die wir nicht mehr haben, wenn wir die Brücken für den Dialog sperren oder gar abreißen.

Ich habe in Polen viele besonnene und vernünftige Menschen kennen gelernt, die uns vertrauen, denen ich vertraue. Der Kleptokrat Orban in Ungarn, aber auch Polens faktischer Herrscher Jaroslaw Kaczynski überspannen mit ihrer trotzigen und selbstgefälligen Haltung den Bogen, sie überziehen. Die Stimmung wird in Richtung eines liberaleren Systems kippen. Dazu kann die EU auf nationaler Ebene durch ihre Instrumente wirkungsvoll beitragen. Wir auf unserer Ebene haben die Verantwortung, egal wie sich die politische Großwetterlage entwickelt, unseren polnischen Freunden zu vertrauen. Wir haben die Verantwortung, ihnen durch den unmittelbaren partnerschaftlichen, freundschaftlichen, aber auch klaren und fairen Dialog und Austausch zu helfen, dass dem Land dieser Umbruch gelingt, friedlich und ohne Schaden zu nehmen. Jeder Einzelne trägt die ganze Verantwortung – dieser Satz des von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfers Willi Graf gilt auch hier uneingeschränkt.

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